Erzbischof Eduard Profittlich SJ „könnte der erste Heilige der katholischen Kirche in Estland sein und ist daher für uns sehr wichtig und bedeutend“, sagte der Apostolische Administrator von Estland, Bischof Philippe Jourdan, am Vorabend des Festes des hl. Josef (18.03.2019) in Rom, als er zusammen mit der Postulatorin der Diözese, Marge-Maria Paas, die Unterlagen im Seligsprechungsverfahren des „ersten Bischofs Estlands nach der Reformation“ im Vatikan übergab.
Eduard Profittlich stammt aus dem Ort Grafschaft bei Ahrweiler, südlich von Bonn. Dort ist er 1890 als achtes von zehn Kindern geboren worden. In Linz am Rhein machte er 1912 sein Abitur und wollte dann bei den Jesuiten eintreten, was die Eltern aber nicht wünschten. So ging er zunächst ins Priesterseminar nach Trier, doch am 11. April 1913 trat er mit Zustimmung der Eltern ins Noviziat der Jesuiten ein.
Der Erste Weltkrieg zog herauf und machte alle Planungen unsicher. Im Januar 1916 wurde Eduard in Trier zum Subdiakon geweiht. Im Kriegsdienst war er Krankenpfleger und Operationsgehilfe im Lazarett. Am 27. August 1922 empfing er in Valkenburg/NL die Priesterweihe.
Im gleichen Jahr hatte der Papst das „Orientalische Institut“ dem Jesuitenorden übergeben, und Eduard Profittlich meldete sich, einem Ruf des Ordensgenerals Ledochowski folgend, für die „Russlandmission“. In Krakau wurde er zum Doktor der Philosophie und Theologie promoviert. Doch die Entwicklungen in Russland ließen seinen Einsatz dort nicht zu. So wurde Eduard 1925 bis 28 in Oppeln als Volksmissionar, Exerzitienmeister und Prediger eingesetzt. Überraschend versetzte ihn der Orden im März 1928 nach Hamburg, wo er am „Kleinen Michel“ insbesondere mit der Polen-Seelsorge betraut wurde. Seine intensive Arbeit und sein Einsatz für die Menschen brachten ihm hohe Wertschätzung ein. So war es nicht verwunderlich, dass er am 4. Dez. 1930 vom Apostolischen Administrator als Pfarrer an die Pfarrei St. Peter und Paul in Tallinn/Reval berufen wurde.
Die Ordensoberen hatten bereits 1923 den ersten Jesuiten nach 298 Jahren (die erste Missionsperiode von Jesuiten in „Liivland“ dauerte von 1583 bis 1625) nach Dorpat/Tartu in Estland geschickt, den Luxemburger Henri A. Werling. Werling siedelte nach Tallinn über, um seinem Mitbruder die nötige Hilfe geben zu können. Für das gesamte Wirken von Profittlich in Estland muss man beachten, dass Werling ihm sehr hilfreich und segensreich zugearbeitet hat. Bereits im Mai 1931 wurde Profittlich zum Apostolischen Administrator für Estland ernannt.
Sehr schnell gewann „der Neue“ die Aufmerksamkeit der estnischen Öffentlichkeit, die mehrheitlich lutherisch war. Besonders geschätzt war seine Kirchenzeitung „Kiriku Elu“ (Leben der Kirche), die monatlich erschien. Sie enthielt glaubensfördernde, katechetische, liturgische Artikel, ebenso Informationen aus der Weltkirche, und wurde von allen im ganzen Land, vor allem von Intellektuellen, sehr gern gelesen. Dem Autor dieses Artikels liegen diese Zeitungen gesammelt im Archiv des Esto-Ühing in Tartu vor; besonders wertvoll sind die handschriftlichen Zeilen, die Profittlich noch für die nächste, unvollendete Ausgabe von Kiriku Elu schrieb, deren Nummer 1941 aber nicht mehr erscheinen durfte.
Es entstanden fünf neue Pfarreien im Land, bis 1941 kamen weitere Jesuiten nach Estland (insgesamt waren es 17), ferner Kapuziner aus Alt- und Neuötting, die die Pfarrei in Tartu übernahmen, dazu Ordensfrauen aus Tschechien, die bis heute in der Pfarrei in Tartu wirken. Profittlich wandte sich besonders der Jugend zu, gab Religionsunterricht in fünf Sprachen, gründete ein Kinderheim und ein Knabenkonvikt, in das auch Nicht-Katholiken gern ihre Sprösslinge schickten.
Dank vielfältiger diplomatischer Bemühungen Profittlichs wurde im Juli 1935 die Apostolische Administratur in Tallinn errichtet, während Profittlich selber zum Erzbischof ernannt wurde. Seine Bischofsweihe erfolgte am 27. Dezember 1936 in der Pfarrkirche St. Peter und Paul. (Über diese Bischofsweihe gibt es einen Film.) Der neue Erzbischof, der erste katholische seit der Reformation, hatte viele Spannungen in dem Land der vielen Sprachen und Kulturen auszugleichen.
Doch auf der weltpolitischen Bühne erschienen Hitler und Stalin. Die sowjetischen Religionsgesetze galten nun auch für Estland. Profittlich, der seit 1935 die estnische Staatsbürgerschaft besaß, sollte, nach Maßgabe der deutschen Botschaft, nach Deutland zurückkehren, aber er blieb. „Mit innerlich vollständig ruhigem und bereitem Herzen würde ich mich gerne für das Reich Gottes hier im Land opfern und bin bereit, alles zu tun, was sich unter den veränderten Verhältnissen für das Reich Gottes arbeiten und leiden lässt.“
Als Papst Pius XII. ihm die Freiheit überließ, selber zu entscheiden, schrieb er: „Da ich aus dem Telegramm den Wunsch des Hl. Vaters erkannte, dass ich hier bleiben solle, habe ich mich nun endgültig entschlossen, nicht nach Deutschland zurückzukehren. Ich tue das mit großer Bereitwilligkeit, ja ich kann wohl sagen, mit großer Freude. Wenn ich auch in keiner Weise voraussagen kann, wie nun mein Lebensweg verlaufen wird, welche Opfer noch auf mich warten, so gehe ich diesen Weg mit großem Vertrauen auf Gott, fest überzeugt, dass, wenn Gott mit mir gehen wird, ich nie allein sein werde. Und ich habe auch die sichere Hoffnung, dass das Opfer, das ich so für die Interessen des Reiches Gottes hier im Land bringe, auch so oder so nicht ganz ohne Frucht sein wird….“
Im Januar 1941 verließen alle Patres außer den Jesuiten Profittlich, Werling und Bourgeois Estland. Im Juni kam es zur ersten großen Deportation von 15.000 Esten in russische Gefangenenlager. Überall wurde die Elite von Vereinen und Organisationen abgeführt. Am 27. Juni 1941 durchsuchte der NKWD morgens um 2:00 auch das Haus des Erzbischofs und nahm diesen, unter dem Vorwand der Spionage, fest. Profittlich bat darum, noch einmal in der Kirche beten zu dürfen; danach segnete er die Ordensfrauen, die ihn begleiteten.
Zwei Tage zuvor hatte er seinen Geschwistern geschrieben: “…Den Ausschlag gab dann ein Telegramm aus Rom, aus dem ich erkannte, dass dieser Entschluss auch dem Wunsche des Heiligen Vaters entspreche. Und ich muss sagen, dass der Entschluss zwar einige Wochen Vorbereitung kostete, ich ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefasst habe, sondern sogar mit großer Freude. Und als es dann endlich klar war, dass ich bleiben sollte, war meine Freude so groß, dass ich vor Freude und Dank ein Te Deum gebetet habe. Überhaupt habe ich dabei so sehr das Gnadenwirken Gottes an meiner Seele gespürt, dass ich wohl selten in meinem Leben mich so glücklich gefühlt habe, wie am Donnerstag Abend nach der Entscheidung und dass ich noch nie so andächtig die heilige Messe gefeiert, wie am vergangenen Freitag, dem Tag der Entscheidung.”
Nach seiner Verschleppung herrschte im Orden der Jesuiten Unklarheit über sein Verbleiben. Als der Autor dieses Artikels 1961 in den Orden eintrat (am 11. April), wusste niemand etwas von Profittlich; allerdings war 1955 Werling aus sowjetischem Arbeitslager schwerkrank nach Estland zurückgekehrt. Er durfte noch Beichte-hören. Er starb am 22. Februar 1961 in Kodasema und liegt heute, zusammen mit Bruder Kantsky SJ, auf dem Friedhof Nõmme in Tallinn begraben.
Werling wusste nicht, dass am gleichen 22. Februar im Jahre 1942 sein Mitbruder und Bischof Profittlich im berüchtigten Gefängnis von Kirov (1000 km östlich von Moskau) umgekommen war. Die Akten über die Prozesse gegen ihn wurden erst nach dem Umsturz 1991 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Darin fand man die Notiz, dass Profittlich völlig rehabilitiert sei, es habe „keine Schuld“ vorgelegen. Profittlich hatte seinen Peinigern schon vorher verziehen. Die offizielle Mitteilung, er sei an „Erschöpfung“ gestorben, bedeutete nach damaliger Lesart, dass er „liquidiert“ worden ist.
Die Hingabe für Christus war für ihn „der schönste Abschluss“ seines Lebens. Profittlich ist Märtyrer für Christus und die Kirche, ein Glaubenszeuge für unsere Zeit.
P. Christoph Wrembek SJ