Seit Jahrhunderten gilt Judas als der größte aller Sünder, der daran schuld sei, dass Jesus sterben musste. Das ist falsch: Ursache für den Tod Jesu ist Jesus selbst, sein Tun und Reden über das Gesetz des Mose hinaus. Die Bibel nennt Judas nirgendwo „Verräter“. Das Wort, das sie gebraucht (aufgeben, übergeben), wird auch für Jesus beim Sterben am Kreuz verwendet: „Er gab seinen Geist auf.“ Richtiger müsste man sagen, dass der Apostel Judas Jesus mit seinem Kuss in der absolut dunklen, kalten Nacht auf dem Ölberg „identifiziert“ hat: Der ist es. Judas war überzeugt, dass Jesus nun endlich seine Macht zeigen würde, die er als Messias doch hatte. Als der das aber nicht tat, sondern auch das Greiferkommando in seine Zuwendung einschloss, ging Judas zum ersten Mal auf, was Jesus wirklich wollte. Doch weil er keinen Freund hatte, der ihn tröstete und auffing, erhängte er sich. Auf dem Kapitell von Vézelay nun, 900 Jahre alt, trägt Jesus seinen Judas wie das Verlorene Schaf nach Hause. Das Kapitell zeigt nichts weniger als die „Auferstehung des Judas“. Er sollte der Patron all derer sein, die sich selbst verdammen.